Am 29. Juni erschien der bayerische Landesvorsitzende Petr Bystron vor dem Eine-Welt-Haus in München, um einen kritischen Vortrag über seine Partei zu verfolgen. Ihm wurde der Zutritt verwehrt. Einem Neonazi und einem weiteren Vertreter der extremen militanten Rechten ebenfalls. Bystron lud die beiden auf ein Bier ein.
Der Journalist Robert Andreasch, ein Kenner der extremen Rechten Bayerns, wurde am 29. Juni eingeladen, im Münchner Eine-Welt-Haus über die Entwicklung, die Positionen und Ziele des bayerischen Landesverbandes der AfD zu referieren. Kurz bevor der Vortrag beginnen sollte, fanden sich am Tor zum Veranstaltungsort Petr Bystron, Lukas Bals und Rick W. ein. Besucher des Eine-Welt-Haus erkannten die Rechten und verwehrten ihnen den Zutritt, bis ein offizielles Hausverbot ausgesprochen werden konnte. Nach einiger Diskussion entfernten sich die unerwünschten Gäste.
Rechts mit Flasche: der verurteilte Lukas Bals
Lukas Bals ist ein bekannter Neonazi aus Dortmund. Er wurde wegen eines Überfalls auf eine Wahlparty 2014 im Dortmunder Rathaus im vergangenen Jahr wegen Körperverletzung verurteilt. Auch Rick W. ist bekannt – als Anhänger des „Bündnis deutscher Patrioten“ (BdP). Auf Facebook hetzt das BdP laut Bayerischer Rundfunk (BR) massiv gegen Geflüchtete. Es werde diskutiert, „wie man Migranten in Münchner Freibädern umbringen könnte – mit Strom im Becken oder mit Zyklon B, der Chemikalie, mit der die Nationalsozialisten Juden in Auschwitz ermordeten.“
Bystron sagte dem BR, er habe die fraglichen Personen „nicht näher“ gekannt. Auch will er nicht mit ihnen gemeinsam angereist sein. Das findet nicht nur der BR unglaubwürdig. Mehrere Augenzeugen berichteten dem Sender, „das Trio habe sich vorher getroffen [und] sei gemeinsam zum Eingang des Veranstaltungsortes gegangen.“ Auch der Autor dieser Zeilen konnte die Ankunft der drei Wahrnehmen. Bystron selbst kündigte seinen Besuch „angriffslustig“ (BR) auf Facebook an: „Könnte amüsant werden. Wer kommt mit?“ Im Anschluss an die Abweisung am Eine-Welt-Haus ließ sich Bystron, wie er selbst einräumt, von Bals und W. in einen nahegelegenen Biergarten begleiten und lud diese ein.
„Entschlossen – Solidarisch“ auf Demo gegen Brandstiftung an Asyl-UK in Kaufbeuren
Der Verfassungsschutz will über die extreme Rechte aufklären. Dabei liegt er häufig daneben – und mit ihm die Medien, die dessen Darstellung ungeprüft übernehmen. Oft sind es antifaschistische Initativen, die dagegen halten. Dafür wurde eine als „wichtige Firewall“ in Schwaben „gegen rechtspopulistische und faschistische Tendenzen“ ausgezeichnet .
Die Zeitung zählt auf, was sich beim Verfassungsschutz (VS) nachlesen lässt. Drei Neonazibands gebe es im Allgäu: „Faustrecht“, „Codex frei“ und „Hard as Nails“, etwas nördlich zudem die „Natural born haters“. „Faustrecht“ seien international unterwegs. Außerdem gebe es die Nazi-Kameradschaft „Voice of Anger“ und „Oldschool Records“ – ein Neonazi-Versandhandel, Klamotten- und Plattenproduzent. Auch, dass die Neonazi-Parteien „Der III. Weg“ und NPD auch im Allgäu zu Hause sind, berichtet der VS. Der Brandanschlag in Marktoberdorf Ende 2015 wird ebenfalls erwähnt – und ein weiterer in Kempten, den es nie gegeben hat. Die Zeitung hat sich wohl getäuscht und meint den Brandanschlag Anfang 2016 in Kaufbeuren-Neugablonz.
Verharmlosung
Dabei macht es sich die Zeitung wie viele Medien zu einfach und übernimmt die Angaben des Verfassungsschutzes offenbar ohne kritische Prüfung. Zum Ende des Artikels wird wieder Bezug auf „Allgida“ genommen. Rund 150 Rechte gingen im Februar auf Einladung von Neonazis in Obergünzburg auf die Straße und betrieben rassistische Hetze. Für „deutliche Verknüpfungen mit der rechtsextremen Szene“ bemüht die Zeitung aber wieder den VS und dieser wiederum Facebook: Die „Verwendung der alten Reichsfarben geht in diese Richtung.“ Als wäre das Bekenntnis der teils vermummten und bewaffneten Neonazis durch zeigen von Hitlergrüßen in Obergünzburg bereits nicht ausreichend, um zu diesem Schluss zu kommen.
Am Ende des Artikels wird das eben geschilderte Problem verharmlost: „Der Verfassungsschutz betont in diesem Zusammenhang, dass sich die Verbreitung von braunem Gedankengut inzwischen weitgehend in soziale Medien verlagert habe.“
Mag sein, dass im Internet mehr braune Hetze zu finden ist als je zuvor, aber von einer Verlagerung kann keine Rede sein. Die Entwicklung außerhalb des virtuellen Raumes zeigt ebenso einen eklatanten Anstieg. Die „Chronik flüchtlingsfeindlicher Vorfälle“ der Amadeu Antonio Stiftung und PRO ASYL dokumentiert für dieses Jahr 90 Brandanschläge auf Geflüchtetenunterkünfte allein in diesem Jahr bis zum 19.6., dem Tag an der Artikel der „Schwäbischen“ erschien. Hochgerechnet auf das ganze Jahr wäre das weit mehr als eine Verdoppelung im Vergleich zum Vorjahr, in dem die Initiative 136 derartige Vorfälle zählt. 2014 waren es 36, davor 20, 12 und 3 im Jahr 2011. Die Täter werden – wie in Marktoberdorf und Kaufbeuren-Neugablonz – oft nicht gefasst. Die Übergriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte korrelieren mit den zunehmenden braunen Mobilisierungen und ihren Erfolgen. Im Fahrwasser der Sarrazin-Debatte konnten gewisse Ressentiments und Versatzstücke eines extrem rechten Weltbildes, die bisher wie die „Mitte“-Studien wiederholt nachwiesen in der deutschen Bevölkerung verbreitet waren, wieder öffentlich sagbar gemacht werden. Diese Entwicklung wurde nicht nur von der sogenannten Pegida-Bewegung aufgegriffen und weiter verstärkt. Auch die AfD konnte davon profitieren und weiter an einer Diskursverschiebung nach rechts arbeiten – und sich dabei selbst weiter radikalisieren.
Aktivisten des „antirassistischen Jugendaktionsbüro“ warnen seit ihrer Gründung 2013 vor der extremen Rechten in der Region – und greifen ein. Für dieses Engagement gegen Rechts in Schwaben wurde dem „Antirassistischen Jugendaktionsbüro“ im selbstverwalteten Jugendzentrum „react!OR“ in Kempten vergangenen Mai der erste Klaus-Bruno-Engelhardt-Preis verliehen. Peter Ohlendorf, Regisseur und Autor des Dokumentarfilms „Blut muss fließen“ über die deutsche subkulturell geprägte Neonaziszene, sieht im Preisträger „eine wichtige Firewall“ in Schwaben „gegen rechtspopulistische und faschistische Tendenzen. Heute wird endlich einmal der Einsatz und Mut von jungen Leuten für Demokratie und soziale Gerechtigkeit anerkannt und gefeiert. Das kann aber nur der Anfang sein: ‚reactOR‘ steht stellvertretend für all die jungen Initiativen, die sich für eine offene, demokratische Gesellschaft engagieren. Diese Initiativen müssen viel mehr Unterstützung bekommen. Nur im Schulterschluss mit ihnen wird es gelingen, die immer dramatischere Rechtsdrift der Gesellschaft in Deutschland und Europa aufzuhalten und zurück zu drängen.“
Achtspeichigem Hakenkreuz auf Titel der „Schleswiger Nachrichten“ (5. Schild von Links)
Eine Lokalzeitung berichtet über die „Schleswiger Wikingertage“ – und sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, ein Hakenkreuz auf der Titelseite abzubilden.
Die alljährlichen „Schleswiger Wikingertage“ bieten Gaukler- und Feuershows, Bogenturnier, Wikingerschiffe und ein Irish Folk Rock Festival. Das laut Veranstalter in „Sichtweite von Haithabu, vor 1.000 Jahren die wichtigste Wikingersiedlung Nordeuropas“ errichtete Wikingerdorf verfügt über eine „Kampfarena“, in der mehrmals täglich Wikingerschaukämpfe statt finden. Damit zog man in diesem Jahr etwa 25.000 Besucher zur wohl größten derartigen Veranstaltung Deutschlands nach Schleswig. Über die Schaukämpfe schreiben die „Schleswiger Nachrichten“: „wie immer warfen sich die geschlagenen Nordmänner dort spektakulär in den Sand – wie immer war der Auslöser für ihre Kämpfe der Streit um einen Teddybär – wie immer moderierte Carsten ‚Carl‘ Lösch das Spektakel mit viel Fachwissen und Humor.“
Verwendung des achtspeichigen Hakenkreuzes auf Mittelalterfest (aus: „Nazis im Wolfspelz”)
Nun ist offenbar weder „Carl“ noch der Zeitung aufgefallen, dass einer der „geschlagenen Nordmänner“ ein Schild mit einem Kolovrat, einer Hakenkreuz-Abwandlung mit acht Haken in schwarz-weiß-rot trägt. Auf der Titelseite der „Schleswiger Rundschau“ vom 1.8. ist das Schild auf dem Aufmacher-Foto zu sehen. Die „Schleswiger Nachrichten“ reagieren auf den Hinweis des Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin via Twitter: „Hakenkreuze haben vier Arme, die in die andere Richtung drehen.” „So etwas“, sagt Karl Banghard, „gab es natürlich im Frühmittelalter nicht.“ Für ihn ist spätestens durch die Farbwahl ein politisches Bekenntnis eindeutig zu erkennen. Banghard ist Mitarbeiter des Archäologischen Freilichtmuseum Oerlinghausen und Autor der von dieser kürzlich herausgegebenen Broschüre „Germanen und der rechte Rand – Nazis im Wolfspelz“.
Neonazis besetzen Vorgeschichte
Das Heft beschreibt fundiert, wie Neonazis auf Events wie den Wikingertagen Vorgeschichte besetzen und wie sie Codes aus alter Zeit entwenden und mit neuen Bedeutungen besetzen und entstellen. Organisierte Versuche der extremen Rechten, Germanen- und Wikingerbilder zu besetzten und auf entsprechenden Events zu agitieren sieht Banghard spätestens seit Beginn der 1980er Jahre. Damals taten sich vor allem Personen völkischer neuheidnischer Gemeinschaften oder rechter Jugendorganisationen hervor. Die vom US-Rechtsterroristen David Lane in den frühen 90ern gegründete Neuheidengruppe „Wotansvolk“ sei für Teile der osteuropäischen Wikingerszene stilbildend gewesen. Das seit 2000 in Deutschland verbotene „Blood&Honour“-Netzwerk (B&H) „trug seit Mitte der 80er zum Wikinger- und Germanenkult bei.“ Auch die Band Screwdriver des B&H-Gründers Ian Stuard Donaldson bediente sich als Vorbild für viele folgende Rechtsrockbands an religiös aufgeladenen frühgeschichtlichen Motiven.
Die mutmaßlichen Terroristen des NSU Beate Zschäpe, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Holger Gerlach tauchen auf polizeilichen Kontrolllisten eines im Sommer 1997 vom „Thüringer Heimatschutz“ ausgerichteten „Wikingerfest“ auf. Auf dem Programm: Axtwerfen, Hinkelsteintragen und Met in Strömen. Auch andere Strömungen der extremen Rechten fühlen sich zur Vorgeschichte hingezogen. Die Wade eines Teilnehmers der Kundgebung der „Identitären Bewegung“ am 31.7. in München etwa zierte ein in Runen des älteren Futhark gesetzter Spruch neben einer „Elhaz“-Rune, die erst durch Guido von List als „Lebensrune“ zu Bedeutung für alte und neue Nazis kam. Der Germanendarstellung im Nationalsozialismus widmet die Broschüre ein eigenes Kapitel.
Geschichte als ein zentrales Thema
Die Veröffentlichung des Archäologischen Freilichtmuseum Oerlinghausen stellt Geschichte als ein zentrales Thema der extremen Rechten dar, um deren Deutung sie mit „bemerkenswerter Zähigkeit“ kämpfen. Dieses Phänomen allerdings sei gerade im vorliegenden Kontext kaum reflektiert, weshalb neonazistische Codes problemlos auf Mittelalterfesten und dergleichen präsentiert werden können – wie das Hakenkreuz, das auf der Titelseite der „Schleswiger Nachrichten“ landete. Worin der Gewinn für die Rechte besteht, beschreibt die Broschüre so:
Titel „Nazis im Wolfspelz“
„Diese Vorgehensweise bezeichnen rechte Theoretiker als ‚Metapolitik‘. Ziel ist eine Kulturrevolution von rechts, Mittel ist Geschichtspolitik und indirekte Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Wer Geschichte deutet, liefert auch eine glaubhafte Erzählung, wie es zu unserer heutigen Gesellschaft gekommen ist. Und prägt damit nachhaltig politisches Bewusstsein. Diese jahrzentelange Grundlagenarbeit hat ihren Anteil am derzeitigen Wahlerfolg der extremen Rechten in Europa.“
Die Broschüre soll ihrerseits Bewusstsein prägen, sodass der extremen Rechten dieses Agitationsfeld wieder entzogen wird. Die erste Auflage von „Nazis im Wolfspelz“ ist bereits vergriffen, eine Zweite hängt davon ab, ob das Familienministerium Nordrhein-Westfalen die nötige Förderung bewilligt.
„Bunt, laut und kreativ – Gemeinsam gegen rechten Populismus“ und die Kandidatur eines AfDlers für das Oberbürgermeisteramt in Memmingen wandte sich vergangenen Dienstag eine Kundgebung.
Am 20.9. demonstrierten etwa 30 Menschen „Bunt, laut und kreativ – Gemeinsam gegen rechten Populismus“ vor dem Schützenheim im schwäbischen Eisenburg. Im Gebäude hielt Christoph Maier einen Vortrag im Rahmen seiner Wahlkampftour durch Memmingen und die umliegenden Ortsteile. Im Saal waren wiederholt die Sprechchöre der Kundgebung zu vernehmen.
„Das Klima in der Bundesrepublik wird rauer. Rassistische Phrasen, die bis vor wenigen Monaten außerhalb des Stammtisches niemand geäußert hat, sind im politischen Diskurs „normal“ geworden. Die Zahl der Anschläge gegen Geflüchtete und deren Unterkünfte ist dramatisch gestiegen. Rechte Großdemonstrationen, bei denen „besorgte Bürger“ Hand in Hand mit strammen Rassisten und Neonazis gegen alles demonstrieren, was nicht in ihr borniertes Menschenbild passt, sind an der Tagesordnung.“
Die AfD präsentiere sich auch als „parlamentarischer Arm dieses Rechtsrucks“. Ihr Kandidat für das Amt des Memminger Oberbürgermeisters präsentierte sich dagegen bedacht kommunalpolitisch. Vor seinen etwa 45 Zuhörern betonte Maier, er würde – einen Wahlsieg vorausgesetzt – etwa dafür Sorge tragen, dass das Dach des Eisenburger Feuerwehrhauses besser gedämmt würde, sich für eine Verbesserung der öffentlichen Nahverkehrsverbindung nach Memmingen einsetzen und den Radweg in die Stadt beleuchten lassen.
Thomas Wagenseil, der Beisitzer von Maiers AfD-Kreisverband, gibt sich auf seiner Facebook-Seite als Anhänger der „German Defence League“ (GDL) zu erkennen. Andreas Speit, auf die extreme Rechte und Neonazis spezialisierter Journalist, schreibt über die GDL: „Das sind radikale Islam-Feinde mit Neonazi-Verbindung.“ Als Profilbild setzte Wagenseil einen Auszug aus der ersten Strophe des Deutschlandliedes: „Deutschland Deutschland über alles“.
Der Oberbürgermeisterkandidat Christoph Maier hat einige weitere Wahlkampftermine angekündigt. Seine Gegner wollen ihn weiter begleiten.
Gegen „Ausgrenzung, soziale Spaltung, Hass und Homophobie“ demonstrierten vergangenen Freitag rund 100 Gegner der Oberbürgermeisterkandidatur der AfD für Memmingen.
„Das Problem heißt Rassismus“ – hinter diesem Banner versammelten sich am Abend des 7.10. etwa 100 Personen auf dem Platz der Deutschen Einheit im Memmingen. Sie demonstrierten damit erneut gegen die AfD und insbesondere die Kandidatur von Christoph Maier zur Wahl von Memmingens neuem Oberbürgermeister, nachdem sie ihre Kritik bereits rund drei Wochen zuvor artikulierten.
Konkreter Anlass der Versammlung war eine von AfD-Kandidat Maier moderierte Podiumsdiskussion im Rahmen seines Wahlkampfes, die in der angrenzenden Memminger Stadthalle stattfand. Maier kündigte AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen für die Veranstaltung an, der aber laut Pressemitteilung aus persönlichen Gründen kurzfristig absagen musste. Tatsächlich gewinnen konnte Maier seine Parteikolleginnen Claudia Martin und Alice Weidel.
Weidel irritiert als homosexuelle Frau mit Partnerin und Kind als Mitglied im Bundesvorstand der laut Kritikern „extrem homophoben“ AfD. Ihre homophobe Haltung zeigten Besucher der Veranstaltung indem sie die Teilnehmer der Gegenkundgebung als „Schwuchteln“ beschimpften.
In der Stadthalle wurde darauf das Veranstaltungsprogramm ähnlich rau
eröffnet. Man wünschte sich Maier werde Bürgermeister, damit künftig
das „linksversiffte Gesocks“ der Stadt fern bleibe. Die an Akif Pirinçci
angelehnte Beleidigung richtete sich gegen die Teilnehmer der
antirassistischen Kundgebung. Die Besucherzahl blieb deutlich hinter den Erwartungen der Veranstalter zurück; viele Stühle blieben unbesetzt.
Der 32-jährige Oberbürgermeisterkandidat Maier ist Gründungsmitglied und Vorsitzender des Schiedsgerichts im Landesverband Bayern der AfD und Chef des Kreisverbandes Memmingen/Unterallgäu seiner Partei, dessen Veranstaltungen von Anhängern der Neonazikameradschaft „Voice of Anger“ und der NPD besucht wurden. Auch Maiers OB-Wahlkampfveranstlatung vor rund zwei Wochen lockte Vertreter der extremen Rechten. Solcher Besuch blieb auch in der Stadthalle nicht aus.
Themen für die ihm Rassismus vorgeworfen werden könnte, vermeidet Meier wenn er kann. Er gibt sich lieber betont kommunalpolitisch und spricht auf Veranstaltungen über Fahrradwege und das öffentliche Verkehrsnetz. Auf die Frage einer Bürgerin, wie er „die Integration der Flüchtlinge fortführen“ möchte, antwortet der AfDler, Migranten hätten eine „Bringschuld gegenüber der hier lebenden Bevölkerung“. Den Bau eines Minaretts in Memmingen lehnt er ab. Er sieht darin „eine Form der Okkupation“.
(Es wurde eine Änderung am Text durchgeführt, da eine Formulierung missverständlich hätte aufgefasst werden können.)
Das Verfahren gegen den rechtsextremen Versand „Oldschool Records“ wegen Verbreitung von 900 einschlägigen Neonazi-CDs droht an der schlechten Vorbereitung der Anklage zu scheitern
Angesetzt ist das Gerichtsverfahren vor dem Amtsgericht Memmingen bis März 2017. Doch schon am 5. Verhandlungstag zeigte sich die mangelnde Vorbereitung der Staatsanwaltschaft deutlich. Manche der 88 Anklagepunkte, die sie wegen des Vertriebs von Tonträgern mit gewaltverherrlichendem, neofaschistischem Inhalt in 900 Fällen gegen den Betreiber des Neonazi-Plattenlabel „Oldschool Records“ erhob, sind so mager ausgeführt, dass die Verfolgungsbehörde selbst Teile davon relativiert oder gar gänzlich revidiert – ohne, dass der Verteidiger des Angeklagten diese noch angreifen müsste.
sichergestellte Gegenstände 2014
„Oldschool Records“
Bei der Durchsuchung im Mai 2014 wurden insgesamt 23.500 Tonträger, 5 Terabyte Daten und weitere Gegenstände – etwa Hakenkreuzfahnen und Schlagstöcke – sichergestellt, nachdem ein Berliner Politiker schon 2012 Anzeige wegen eines SS-Pullis im Online-Shop des extrem rechten Musiklabels erstattet hatte. Weitere ähnlich einschlägige teilweise selbst hergestellte Textilien und neonazistische Devotionalien werden dort neben eigen- und fremdproduzierten extrem Rechten Tonträgern vertrieben.
Auf den Tonträgern finden sich teils indizierte Titel einschlägig bekannter Bands wie „Stahlgewitter“, „Skrewdriver“, „Sturmwehr“, „Weisse Wölfe“ oder „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“. Letztere hatten die Taten des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) schon 2010 – also vor dessen Selbstenttarnung – in ihrem Song „Döner-Killer“ gefeiert und sich über die scheinbare Ahnungslosigkeit der Polizei lustig gemacht. Zur Durchsetzung eines Beschlagnahmebeschlusses wurden im April letzten Jahres bundesweit 16 Objekte nach der bei „Oldschool Records“ erschienenen CD „Ehrbarer kämpfe“ des Liedermachers „Freilich Frei“ durchsucht, die ebenfalls den NSU verherrlicht.
Bei 88 der 2014 sichergestellten Produktionen – auch hier sind „Oldschool Records“-Eigenproduktionen dabei – erkennt die Staatsanwaltschaft einen volksverhetzenden, Gewalt- und Straftaten billigenden, das Naziregime verherrlichenden oder sonstigen bei Verbreitung strafbaren Inhalt. In manchen der Machwerke wird zum Mord an Juden, Kommunisten oder Schwulen aufgerufen. Teilweise werden verbotene Kennzeichen von Naziorganisationen dargestellt.
Bereits in seiner ersten Stellungnahme nach Verlesung der Anklageschrift am 8. September griff Rechtsanwalt Alexander Heinig die Anklage umfassend an. Schon bei der Polizei gingen Asservate verloren. Die Anklageschrift „hält einer genauen Prüfung nicht stand“, sagte Heinig damals und forderte die sofortige Einstellung des Verfahrens. Das Gericht wies den Antrag zurück, die Staatsanwaltschaft gab sich überzeugt von ihrer Arbeit.
Während der folgenden vier Verhandlungstage wurden einige Tonträger und ihre zur Anklage gebrachten Inhalte im einzelnen begutachtet. Zu jedem bringt Heinig vor, weshalb er sie für nicht strafbar hält. Der Verteidiger kennt einschlägige Strafverfahren gegen andere rechte Versände und Neonazis, verweist auf ihm genehme Rechtsprechung und hält „Rechtsgutachten“ im Sinne seines Mandanten vor, während die Vertreter der Staatsanwaltschaft schlecht vorbereitet wirken. Damit drängt der Stuttgarter Verteidiger die Staatsanwaltschaft zunehmend in die Defensive. Am bislang letzten Verhandlungstag vergangenen Donnerstag nahm der Vertreter der Staatsanwaltschaft bei etwa der Hälfte der verhandelten Straftaten lediglich Bezug auf das schon dargelegte oder verneinte eine Strafbarkeit entgegen der Anklageschrift, verwechselte zudem mehrmals die Paragraphen nach denen eine Handlung strafbar sei.
Rechtsanwalt Heinig nutzt solche Gelegenheiten, um die Staatsanwaltschaft zurechtzuweisen. An anderer Stelle hält er vor, dass die Anklageschrift einen Tonträger den „Fantastischen 4“ zuschreibt. Tatsächlich heißt die Band „Die Faschistischen 4“. Einer ihrer Songs ist Gegenstand der Anklage, weil darin der Holocaust lächerlich gemacht würde. Dort heißt es: „Eine Zugfahrt, die ist lustig, eine Zugfahrt die ist schön […] Eisenbahnromatik macht frei“. Heinig behauptet, der Text beschreibe keinen Deportationszug, sondern eine „lustige“ gemeinsame Zugfahrt.
Mit Rechtsrock kennt sich Alexander Heinig aus. Er gilt als Szeneanwalt und half Anfang der 90er Jahre bei der inzwischen aufgelösten Band „Noie Werte“ seines heutigen Rechtsanwaltskollegen Steffen Hammer aus. In einem Bericht von Frank Buchmeier und Thomas Kuban heißt es: „Hammer gilt als ein Star der europäischen Rechtsrockszene, Heinig als B-Promi. Auf Videos sieht man ihn in Flecktarnhose mit Bierflasche in der Hand bei einem Grillfest von Rechtsextremen (Kreuzritter für Deutschland) in Waiblingen oder bei einem Neonazikonzert am gleichen Ort. Alexander Heinig steht hinten auf der Bühne und grölt: ‚Nigger, Nigger, out, out . . .’“ Benjamin Einsiedler vertreibt als „Oldschool Records“ mehrere CDs von Heinigs inaktiver Band „Ultima Ratio“.
Heinig hält ein weiteres Mandat in der Region um Memmingen im Allgäu. Die Neonazikameradschft „Voice of Anger“ versucht derzeit, ein neues Clubhaus zu etablieren und scheitert bislang am Widerstand von Stadt und Antifa. Die Stadt verweigert ihre notwendige Zustimmung für den Erwerb eines Gebäudes durch die Neonazis. Alexander Heinig geht gerichtlich dagegen vor. Benjamin Einsiedler gilt als Führungsfigur von „Voice of Anger“.
Der AfD-Kandidat Christoph Maier wurde allen Erwartungen gemäß nicht Memmingens neuer Oberbürgermeister. Er konnte aber dennoch über 10% der Wähler gewinnen. AfD-Gegner wollen diese Zahl bis zur Bundestagswahl reduzieren
Am vergangenen Sonntag, dem 7.11., ging die Wahl zum Oberbürgermeister mit einer Stichwahl zu Ende, aus der Markus Kennerknecht (SPD/FDP) als neuer Oberbürgermeister Memmingens hervorging. Maier schied mit 10,4 Prozent der Stimmen bereits zuvor aus. Mit einem Sieg des Rechtsanwaltes hatte wohl auch niemand ernsthaft gerechnet. Auch er gibt sich „stolz auf ein zweistelliges Ergebnis.“ Mit genau 1791 Stimmen bildet er damit das Schlusslicht.
Inhaltlich gab sich Maier meist betont kommunalpolitisch. Der Plan eines Minarettbaus in der Stadt, ließ ihn aber nicht los. Immer wieder bezog er sich darauf und nutzte die Baustelle als Kulisse für eines seiner Wahlwerbevideos. Details über das Vorhaben würden zurückgehalten. Deshalb geht es ihm, sagt er, nur um Transparenz und baurechtliche Belange. Dann aber lehnt er den Bau eines Minaretts in Memmingen doch grundsätzlicher ab: Maier sieht darin „eine Form der Okkupation“. Auf die Frage einer Bürgerin, wie er „die Integration der Flüchtlinge fortführen“ möchte, antwortet der AfDler, Migranten hätten eine „Bringschuld gegenüber der hier lebenden Bevölkerung“.
Der 32-jährige Maier ist Gründungsmitglied und Vorsitzender des Schiedsgerichts im Landesverband Bayern der AfD und außerdem erster Mann im Kreisverband Memmingen/Unterallgäu seiner Partei. Thomas Wagenseil gab sich als Beisitzer von Maiers AfD auf seiner eigenen Facebook-Seite als Anhänger der „German Defence League“ (GDL) zu erkennen. Andreas Speit, auf die extreme Rechte und Neonazis spezialisierter Journalist, schreibt über die GDL: „Das sind radikale Islam-Feinde mit Neonazi-Verbindung.“ Als Profilbild setzte Wagenseil einen Auszug aus der ersten Strophe des Deutschlandliedes: „Deutschland Deutschland über alles“. Die Veranstaltungen des Kreisverband Memmingen/Unterallgäu werden von weiteren extremen Rechten besucht. Darunter sogar Anhänger der Neonazikameradschaft „Voice of Anger“ und der NPD.
„Auch, wenn der OB-Wahlkampf in Memmingen für die AfD verloren ist“, sagt einer der Aktivisten, die den Protest gegen die Kandidatur von Christoph Meier organisierten. „Hat die AfD gezeigt, dass sie eine Basis von mehr als 10% in Memmingen mobilisieren kann – und wird das bis zur Bundestagswahl 2017 auszubauen versuchen.“ Deshalb wollen auch die Gegner der AfD aktiv bleiben. Für 4.12. kündigen sie etwa eine „StammtischkämpferInnen-Ausbildung“ im „Café konnex“ in Memmingen an, um – wie es auf der Homepage zum Projekt heißt – Menschen in die Lage zu versetzen, „den Parolen der AfD und ihrer Anhänger Paroli zu bieten, wir wollen gängige rechte Positionen untersuchen und wir wollen gemeinsam üben, das Wort zu ergreifen und für solidarische Alternativen zu streiten statt für Ausgrenzung und Rassismus.“
Der kanadische Neonazi David Allan Surette alias „Griffin“ besuchte das neue Clubhaus der Neonazigruppe „Voice of Anger“ bei Memmingen. Bis zu 50 Personen nahmen an dem Treffen vergangenen Samstag teil.
Nach der Veranstaltung am 12.11. meldet die örtliche Polizei lapidar, es hätten sich „40 – 50 Personen von ‚Voice of Anger‘ und deren Umfeld (rechtsgerichtete Szene) in Memmingen – Ortsteil Hart“ in ihrem neuen Clubhaus getroffen. Dabei wird die tatsächliche Dimension des Treffens völlig verkannt. Die Polizei zeigte massiv Präsenz und versperrte sämtliche Zugänge, um die Teilnehmer vor Einlass einer genauen Kontrolle zu unterziehen. Der Einsatz wurde vom Unterstützungskommando (USK) abgesichert. Das USK zählt zu den Spezialkräften mit besonderen Aufgaben der Bayerischen Polizei und wurde zur Bekämpfung von Schweren Ausschreitungen und zur Absicherung von Einsätzen mit besonders hohem Gefährdungspotential aufgestellt.
Unter den Neonazis befand sich David Allan Surette alias „Griffin“, der mit seinem Dudelsack zum „Balladenabend“ anreiste. Surette gründete 1992 in Kanada die Band „Aryan“ (englisch für Arier oder arisch), mit der er einen religiösen Rassismus besang, wie er auch vom „Ku-Klux-Klan“ oder „Aryan Nations“ gepredigt wird. Das erste Album erschien bei „Resistance Records“, dem Label des Frontmannes der Band „Rahowa“. Der Name steht für „Racial Holy War“, also „Heiliger Rassenkrieg“. Nach vielen Konzerten in den USA und Kanada soll er 1996 einer Einladung aus „Blood and Honour“-Kreisen nach Berlin gefolgt und einschlägige Kontakte ins Milieu geknüpft haben. Noch immer tritt „Griffin“ mit seiner inzwischen in „Stonehammer“ umbenannten Band oder Solo mit Dudelsack auf.
„Ariogermanische Kampfgemeinschaft“
Ein Emblem auf seiner „Kutte“ verweist auf die rechtsextremen Berliner „Vandalen“. Surette gilt als „Ehrenmitglied“. Die „Neonazi-Combo mit Rocker-Habitus“ wurde 1982 in Berlin von Michael Regener und Jens K. gegründet. Regener galt lange als Chef der Truppe, die mit dem Namenszusatz „ariogermanische Kampfgemeinschaft“ sowohl ihre Ideologie als auch ihre Gewaltbereitschaft offenbaren. Surette und Regener hatten schon Ende der 90er Jahre guten Kontakt, als Surette die „Landser“-Musiker bei ihren Aufnahmen in einem Studio in den USA besucht hatte. Der kanadische Neonazi war an der konspirativen Herstellung der frühen „Landser“-CD „Republik der Strolche“ beteiligt. 2003 wurde die Rechtsrock-Band zur kriminellen Vereinigung erklärt. Heute tritt Regener unter dem Pseudonym „Lunikoff“ und mit der Band „Die Lunikoff Verschwörung“ auf.
„Lunikoff“ beim „Rock für Deutschland“ in Gera 2009. Foto: Infothek Dessau
Im September sollte „Griffin“ auf dem „Ian Stuart Donaldson Memorial“ Konzert in Großbritannien auftreten. Allerdings soll ihm die Einreise verweigert worden sein. Der Namensgeber des jährlich stattfindenden „Memorial“ gründete 1987 das „Blood and Honour“-Netzwerk (B&H). In Deutschland bildete sich unter dem Label ein Netzwerk, das ein Millionengeschäft mit der Verbreitung von neonazistischer Musik organisierte, aber laut „NSU Watch“ auch „über Zeitschriften, Booklets und Liedtexte Terrorkonzepte verbreitete und diese mit den Aufrufen koppelte, zur Tat zu schreiten. Denen, die den Kampf gegen System und Volksfeinde als ›Untergrundgruppen‹ aufnehmen wollten, lieferte B&H Anleitungen und bot ihnen Anlaufstellen.“ Auf einem Divisionstreffen am 24. September 1999 in Berlin wurde ein 25-Punkte-Programm zur Bildung einer „politischen Kampfgemeinschaft“ beschlossen, das an das 25-Punkte-Programm der NSDAP von 1920 angelehnt gewesen sei. Maßgebliche Unterstützung erhielt der NSU aus diesem 2010 in Deutschland verbotenen Netzwerk.
Auch „Faustrecht“, eine Unterallgäuer Rechtstrock-Band, war unter den Besuchern des „Balladenabend“ vertreten. Die Band tritt regelmäßig international auf „Blood and Honour“-Konzerten auf. Der Mindelheimer Sänger „Nogge“ soll „seit vielen Jahren regen Kontakt“ mit dem kürzlich verstorbenen Hammerskin und V-Mann Roland Sokol betrieben haben. Dieser sprach selbst von Faustrecht als „meine Freunde“.
Ein Teil der Besucher in der ehemaligen „Gartenschänke“ wollte eigentlich an diesem Abend ein Rechtsrock-Konzert in Nordhessen besuchen. Statt Bands wie „Endstufe“ und „Kraft durch Froide“ (KdF) zu sehen, musste man aber mit „Griffin“ auf dem heimischen „Balladenabend“ vorlieb nehmen. Das als Geburtstagsfeier mit Coverbands getarnte Event in der Stadthalle in Diemelstadt-Rhoden (Landkreis Waldeck-Frankenberg) wurde von der Polizei verhindert, die hunderte Neonazis nach Hause schickte.
„Voice of Anger“
„Voice of Anger“ 2009 auf ihrer Homepage
Ähnlich wie die „Vandalen“ bedient sich „Voice of Anger“ (VoA) einem Rocker-Habitus, ohne ein echter Motorradclub zu sein. Tatsächlich handelt es sich um die wohl größte noch aktive Nazi-Skinheadkameradschaft Bayerns, die seit Jahren um ein eigenes Clubhaus kämpft und gerade dabei ist, mit ihrem neuen Clubhaus, der ehemaligen „Gartenschänke“ in Hart bei Memmingen, Fakten zu schaffen. Allerdings stellen sich Stadt und Antifa gegen den Kauf. Es ist noch nicht endgültig entschieden, ob der Eigentümerwechsel schließlich trägt. Falls der Kauf gelingt, kann die Allgäuer Neonazi-Szene, zusätzlich zum Geschäft mit Produktion und Vertrieb von Neonazi-Musik, in der Region auch wieder Neonazi-Konzerte organisieren – und einen Treffpunkt für das internationale „Blood and Honour“-Netzwerk etablieren.
Die schwäbische NPD hat in Memmingen mit der Neonazikameradschaft Voice of Anger gefeiert. Die Besucher bedrohten Journalisten. Linke bekannten sich zu Sachschaden.
Vergangenen Samstag, den 10.12., lud die NPD Schwaben zum sogenannten „Kerzenabend“. Die „traditionelle Vorweihnachtsfeier“ fand wie im Jahr zuvor in einer Gaststätte in Memmingen-Steinheim statt, wie von der NPD veröffentlichte Photos zeigen. Der Inhaber behauptet dagegen auf Nachfrage, dass die NPD zum ersten Mal bei ihm gewesen sei. Im Übrigen sei ihm egal, ob die NPD oder die SPD bei ihm feiere.
Der hohe Vernetzungsgrad zwischen der schwäbischen NPD und der Neonazi Kameradschaft Voice of Anger zeigte sich auch an diesem Abend. „Rund 60 Besucher, darunter viele Kinder“, sind laut NPD zum „Kerzenabend“ gekommen. Ein großer Teil davon: Anhänger der Neonazikameradschaft Voice of Anger. Auch an der diesjährigen „Sonnwendfeier“ der NPD nahmen Voice of Anger-Anhänger teil, umgekehrt besuchten NPD-Mitglieder wiederholt die Kameradschaft in ihrem neuen Clubhaus.
Es soll „Kinderbetreuung mit Kasperletheater“, Nikolaus und Knecht Ruprecht gegeben haben. Neben Gedichten und Liedern, gemeinsamem Singen und Instrumentalmusik, habe die Partei Vorträge geboten. Einer der Redner war Walter Marinovic aus Wien. Der ehemalige Gymnasiallehrer publizierte in extrem rechten Medien wie der National-Zeitung, der NPD-Zeitschrift Deutsche Stimme oder Umwelt & Aktiv. Beim diesjährigen Leser- und Autorentreffen der Umwelt & Aktiv stellte sich der Revisionist selbst als „altes Sturmgeschütz“ vor. Der Vortragstitel des 87-jährigen: „Völkerwanderung gegen Europa: Es – ist – Krieg“. Auch in Memmingen soll er seine Sicht auf „die Ursachen und Zusammenhänge der Asylflut“ referiert haben.
Ein Journalist, der das Neonazi-Treffen dokumentierte, wurde von den NPD-Mitgliedern Kast, Winkler und einigen Anhängern von Voice of Anger bei seiner Arbeit bedrängt und bedroht. Die anwesende Polizei Schritt nicht ein, weil sie die Situation nicht als bedrohlich erkannt habe. Stattdessen schlugen Polizisten vor, der Fotograf könne seine Arbeit beenden, um zur Deeskalation beizutragen. Die Polizei schritt ebenfalls nicht ein, als zwei der Neonazis den Journalisten später bis zu seinem Auto verfolgten.
Unbekannte beschädigten das der NPD zur Verfügung gestellte Lokal in der Nacht zuvor. Laut einem linken Bekennerschreiben wurden Scheiben eingeworfen und die Parolen „Kein Platz für Rassisten“ und „Nazis bekämpfen“ hinterlassen. Wohl deshalb wurden Teile der Fassade mit schwarzen Planen verhüllt.
Betreiber von Oldschool Records für Verbreitung von nur 7 von 88 angeklagten Nazi-Platten verurteilt. Staatsanwaltschaft sieht Mitverantwortung von rechter Musik für rassistische Übergriffe wie in Sömmerda.
Am 15.12. fiel das Urteil gegen den Betreiber des Neonazi-Plattenlabel Oldschool Records (OSR). Benjamin Einsiedler habe sich laut Gericht der Volksverhetzung und dem Verbreiten von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen durch den Vertrieb von Neonazi-CDs schuldig gemacht. Dafür wurde er zur Zahlung von 120 Tagessätzen zu je 40, insgesamt 4800 Euro und einem Bußgeld wegen einem Verstoß gegen das Waffengesetz verurteilt. 1600 Euro seines durch die Straftaten erzielten Gewinnes werden eingezogen. Das urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Die Staatsanwaltschaft plädierte auf eine etwa doppelt so hohe Strafe und verwies auf die rassistischen Übergriffe in Sömmerda. Musik wie die vom Angeklagten verbreitete sei gefährlich, weil sie zu solchen Taten anstifte. Bei Anklageerhebung sah die Strafverfolgungsbehörde noch bei 88 der 2014 sichergestellten Produktionen – darunter Oldschool Records-Eigenproduktionen – einen volksverhetzenden, Gewalt- und Straftaten billigenden, das Naziregime verherrlichenden oder sonstigen bei Verbreitung strafbaren Inhalt. In manchen der Machwerke wird zum Mord an Juden, Kommunisten oder Schwulen aufgerufen. Teilweise werden verbotene Kennzeichen von Naziorganisationen dargestellt.
Im Laufe der 8 Verhandlungstage seit Ende September drängte der Stuttgarter Verteidiger Alexander Heinig die Staatsanwaltschaft zunehmend in die Defensive. Die Anklagebehörde wirkte schlecht vorbereitet und relativierte unter dem Druck der Verteidigung ihre Anklage. Teilweise sahen deren Vertreter in einzelnen ihrer eigenen Anklagepunkte nun doch keine Strafbarkeit mehr. Alexander Heinig gilt als Szeneanwalt und kennt sich aus in Sachen Neonazis und ihrer Musik. Die CDs seiner früheren Band Ultima Ratio werden bis heute beim Label seines Mandanten vertrieben. Von seinen Kollegen GisaPahl und Steffen Hammer, der ebenfalls als Rechtsrocker bekannt wurde, lässt er Rechtsgutachten erstellen, die erklären sollen, weshalb die inkriminierten Produktionen nicht strafbar seien. Heinig versuchte, den Prozess zu politisieren. Im Plädoyer sagte er, man wolle seinen Mandanten seiner politischen Einstellung wegen wirtschaftlich ruinieren. Heinig plädierte auf Freispruch.
Bei einigen Produktionen verzichtete das Gericht darauf, sie inhaltlich zur Kenntnis zu nehmen. Das Verfahren wurde hinsichtlich der dazugehörigen Anklagepunkte eingestellt, sodass am es am letzten Verhandlungstag nur noch um 19 der 88 Produktionen ging. Etwa, weil bereits die Polizei die Texte nicht verstehen konnte oder sie in englischer Sprache gehalten sind. Bei einigen dieser 19 Tonträger sei dem Angeklagten laut Gericht kein Vorsatz vorzuwerfen, weil sie nach einer früheren Hausdurchsuchung von der Polizei zurück gegeben wurden. Der Angeklagte habe deshalb unabhängig von einer objektiven Strafbarkeit davon ausgehen können, sie verkaufen zu dürfen. Bei anderen Produktionen konnte ein tatsächlicher Verkauf nicht nachgewiesen werden. Bei vier Tonträgern folgte das Gericht der Argumentation der Verteidigung, dass deren Inhalte von der Meinungsfreiheit gedeckt seien. So verurteilte das Gericht Benjamin Einsiedler für nur 7 von 88 Tonträgern aus der Anklage.
Über ein Dutzend Personen protestieren in Memmingen-Steinheim dagegen, dass sich die schwäbische Neonaziszene im Gasthof Kreuz trifft.
Zum sogenannten Kerzenabend der Schwaben-NPD am 10. Dezember waren auch Anhänger der Neonazi-Kameradschaft Voice of Anger angereist. Nazi-Gegner warfen in der Nacht vor der Feier mehrere Fensterscheiben des der NPD zur Verfügung gestellten Lokals ein und sprühten Anti-Nazi-Parolen an dessen Fassade.
Mehr als ein Dutzend Teilnehmer der Kundgebung „Kein Raum für Nazis in Memmingen und sonst wo!“ postierten sich am 20. Dezember mit Transparenten gegenüber des Gasthof Kreuz, um ihren Protest dagegen auszudrücken, dass dessen Wirt Raum für neonazistische Veranstaltungen bietet. Dazu wollen sie über 200 Flyer an Passanten und die umliegenden Haushalte und Geschäfte verteilt haben. In den Flugblättern heißt es:
„Dem Wirt ist seine Neonazi-Kundschaft offenbar unangenehm. Im Vorfeld der Veranstaltung bestätigte er diese zwar gegenüber Journalisten, log aber, dass die Nazis das erste Mal im Haus waren. Photos zeigen das Gegenteil. Nicht nocheinmal! Sorgen wir gemeinsam dafür, dass das ein Ende hat! Solange Neonazis im Kreuz feiern dürfen, wollen wir dort nicht verkehren. Sprechen Sie den Betreiber auf seine Verantwortung an!“
Noch während der Kundgebung trafen sich erneut Neonazis unter anderem von der Skinheadkameradschaft Voice of Anger im Gasthof Kreuz. Eine Person, die im Februar beiAllgida in Obergünzburg im benachbarten Landkreis Ostallgäu auffiel, war ebenfalls anwesend. Der junge Mann verließ das lokal, um vermummt auch hier den Anti-Nazi-Protest pöbelnd anzugehen. Nach Beendigung der Kundgebung zogen mehrere Neonazis aus dem Kreuz durch Memmingen-Steinheim und sammelten die verteilten Flugblätter teils wieder ein.
Erst verfolgen Neonazis einen Journalisten zu seinem Auto, wenige Wochen später werden Scheiben des PKWs eingeschlagen.
Unbekannte demolierten Donnerstag Nacht die Verglasung eines Memminger Journalisten. Der Angriff ereignete sich am 12.1. gegen 23 Uhr nur wenige Meter von der Wohnung des Betroffenen entfernt. Der Sachschaden beträgt etwa 900 Euro. Ein Sprecher der Pressestelle des zuständigen Polizeipräsidiums sagte auf Nachfrage, er könne derzeit wegen Unterbesetzung keine Angaben zu den Ermittlungen machen.
Wenige Wochen vor dem Anschlag dokumentierte der Betroffene eine Veranstaltung der NPD Schwaben. Im Bericht zum Neonazi-Treffen hieß es, er wurde „von den NPD-Mitgliedern Kast, Winkler und einigen Anhängern von Voice of Anger bei seiner Arbeit bedrängt und bedroht. Die anwesende Polizei Schritt nicht ein, weil sie die Situation nicht als bedrohlich erkannt habe. Stattdessen schlugen Polizisten vor, der Fotograf könne seine Arbeit beenden, um zur Deeskalation beizutragen. Die Polizei schritt ebenfalls nicht ein, als zwei der Neonazis den Journalisten später bis zu seinem Auto verfolgten.“
Das Bündnis Memmingen gemeinsam gegen Rechts und das selbstverwaltete Jugendzentrum react!OR werten die Aktion auf Facebook als „Angriff mit Ansage und Versuch der Einschüchterung für die Zukunft.“ Kurz darauf bekam react!OR eine Droh-Mail, in der der Betroffene im NS-Jargon als „arbeitsscheu“ bezeichnet wird. Dort heißt es zudem, „gewisse Leute“ hätten „seit 2009 über fast jeden von euch Linksfaschisten Daten gesammelt.“ Die Autorenschaft gibt sich verwundert, dass „nicht schon jemand eure Schuppen […] abgefackelt hat. Aber was noch nicht ist kann ja noch werden. Würden uns sehr darüber freuen. gez. Kommando DeuRusThingers“.
Anschlag auf Asylsuchende in Altusried. Die Polizei ermittelt wegen des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion.
Bislang unbekannte Täter nutzten die Silvesternacht, um einen Sprengsatz in einem Standaschenbecher vor einer Geflüchtetenunterkunft in Altusried im bayerischen Landkreis Oberallgäu zu platzieren. Die Wucht der Detonation beschleunigte Steine, die sich im Aschenbecher befanden derart, dass sie als Geschosse herumflogen und den Eingangsbereich des Hauses beschädigten. Zeugen beobachteten laut Polizeimeldung eine Stufenhecklimousine, die gegen 1:30 Uhr im Bereich des Tatortes vorfuhr und nach Aufnahme des Täters mit erhöhter Geschwindigkeit davon fuhr. Verletzt wurde allerdings keiner der etwa 50 Bewohner.
Die Polizei ermittelt wegen des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion. Spurensicherungen ergaben, dass es sich bei dem Sprengkörper um einen sogenannten Böller der Marke Super Cobra 6 handelt, der in Deutschland nicht als Feuerwerk zugelassen ist. Tatsächlich unterscheiden sich solche Fabrikate substantiell von Silvesterkrachern.
Im wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung aktuell laufenden Verfahren gegen die Führungsmitglieder der neonazistischen „Oldschool Society“ (OSS) erklärte ein Sprengstoffexperte vom Bundeskriminalamt den Unterschied. Die Explosion zugelassener Pyrotechnik hätte eine „schiebende“ und dadurch deutlich weniger gefährliche Wirkung als die Sprengladungen der verbotenen Böller. Diese würden nach Aussage des Sachverständigen detonieren wie militärische Kampfstoffe, die auf den menschlichen Körper eine „zertrümmernde“ Wirkung mit erheblich größerer Verletzungsgefahr hätten. Im Falle der OSS sollte unter Anderem ebenfalls illegal eingeführte Pyrotechnik – hier der Marke Cobra 11 – mit Nägeln präpariert und in einer Unterkunft für Asylsuchende zur Explosion gebracht werden. Der Zugriff der Behörden und die Festnahme einiger Mitglieder kam hier einer möglichen Ausführung von Anschlägen zuvor.
In „Bürgerliche Scharfmacher“ beschreibt Fachautor Andreas Speit detailliert die „autoritäre Revolte“ einer extrem rechten sozialen Bewegung aus der Mitte der Gesellschaft.
In ganz Europa hätten sich, so Speit im Vorwort des Buches über „Deutschlands neue rechte Mitte – von der AfD bis Pegida“ für rechtspopulistische Parteien die Chancen für politische Erfolge deutlich erhöht. Die Ursachen seien komplex. Alle Untersuchungen würden verweisen auf zwei „wesentliche Faktoren: Die Tendenz zur Erosion der sozial-ökonomischen Basis der unteren Mittelschicht einerseits, andererseits die wachsende Angst vor Statusverlust. Den rechten Populismus begreift Speit (mit Bischof/Müller) als Bewegung der unteren Mittelschicht in wohlhabenden kapitalistischen Gesellschaften: „Ihr Kampf ist denn auch der Verteilungskampf von weißen Männern mit Bildung und Besitz um das ›verlorene Paradies‹ oder die bedrohte Idylle.“
Zugehörige Parteien und ihre Agitatoren gerierten sich dazu als „Anwälte der kleinen Leute“ gegen das „Establishment der Elite“ aus Politik, Wirtschaft und Medien. Diese Parteien seien aber keine Kümmerer, sondern Angstmacher. Oder in den Worten von AfD-Bundesvize Alexander Gauland: „Wir sind eine Partei von Menschen, die besorgt sind, die Angst haben um ihren sozialen Status, die Angst haben vor Überfremdung. Sie wollen nicht, dass eine Million Fremde in diesem Land herumreist, welche gar nicht politisch verfolgt wurden. Das sind kleine Leute, die ihr Deutschland ein wenig so behalten wollen, wie es einmal war“, sagte Gauland im Streitgespräch mit FDP-Bundesvize Kubicki. Dieser erläutert darauf, dass der „Faktor Angst“ für die AfD lebensnotwendig sei.
„Massiv verstärkt“ sieht Andreas Speit diesen Faktor seit der Silvesternacht 2015/16 und einigen folgenden Ereignisssen, wegen derer sich die Neuen Rechten in der Ablehnung von Flüchtlings- und Asylpolitik bestätigt sähen. „Die neuen Rechten wissen, was sie tun – und sie sind dabei erfolgreich.“
„Rechtspopulismus ist nicht nur gesellschaftsfähig geworden, er ist auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen, beziehungsweise war schon immer dort“, zitiert Speit Küpper, Zick und Krause, die zudem feststellten, dass „von jenen, die zum Rechtspopulismus tendieren, […] 17 Prozent die Anwendung von Gewalt“ billigen und „22 Prozent bereit [sind], selbst Gewalt ›gegen Fremde‹“ anzuwenden. Diese „kollektive Wut“ sei – wieder nach Speit – nicht nur eine statistische Größe. „Der verbalen Hetze im Netz und auf der Straße sind Taten gefolgt und werden folgen. Die Auswertung der in den letzten Jahren stetig gestiegenen Fälle rechtsmotivierter Gewalt lege nahe, dass nicht mehr nur Neonazis dafür verantwortlich sind, sondern vermeintliche einfache „Wutbürger“ zu „Tatbürgern“ werden.
Verschiedene Akteure dieser heterogenen Bewegung kommen in den einzelnen Kapiteln des vorliegenden Bandes ausführlich zu Wort. Im Kapitel „Eine Partei für ein anderes Deutschland“ wird nachgezeichnet, dass die AfD von Beginn an nicht bloß eine Einthemenpartei war und ihr Personal schon früh nach weit rechts drängte.
Die ideologischen Vordenker dieser Bewegung werden im Kapitel „Vom Rittergut ins Schlachtengetümmel“ vorgestellt. Die Netzwerke des „Instituts für Staatspolitik“ über die „Junge Freiheit“ bis hin zur „Identitären Bewegung“ greifen oft ineinander. Es bildete sich ein Milieu einer „Graswurzelbewegung von rechts“, das über 30 Jahre ideologische Auseinandersetzungen um Begriffe und Debatten führte und heute seine Zeit gekommen, die Frucht seiner Arbeit aufgehen sehe.
Im Kapitel „Ganz normale Leute – Pegida, die patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ wird der Protest auf der Straße gegen die vermeintliche „Islamisierung“ und „Flüchtlingsinvasion“ skizziert. Pegida möge zu Ende gehen, habe das Land aber nachhaltig beeinflusst. Neuere Strukturen versuchen bereits dort anzuknüpfen.
Im letzten Kapitel schließlich wird dargestellt, dass die Feind-Chiffre die „kollektive identität“ der rechten Akteuere bestimmt. Die „autoritäre Revolte“ dieser sozialen Bewegung komme aus der Mitte der Gesellschaft. Es zeige sich, wie hier Eingangs ausgeführt, dass die Chance des Rechtspopulismus eng mit den sozioökonomischen Prozessen verbunden seien. Ein „Extremismus der Mitte“, der auch ein „marktförmiger Extremismus“ sei, führe zu Erosionen in der Gesellschaft.
Bürgerliche Scharfmacher
Orell Füssli Verlag
ISBN 978-3-280-05632-5
„Weltnetzseite“ des „Bundesstaat Bayern“ (Screenshot: S. L.)
In mehreren Bundesländern führte die Polizei am Dienstag eine Razzia gegen Reichsbürger durch und stellte zahlreiche Schusswaffen sicher. Die Anhänger eines Bundesstaat Bayern sollen banden- und gewerbsmäßig „Urkunden“ ihres Fantasiestaates ausgestellt haben.
Am 7.2.16 durchsuchten rund 300 Polizisten die Wohn- und Geschäftsräume von Anhängern eines Bundesstaat Bayern. Sieben der Reichsbürger, gegen die die Ermittlungsgruppe Wappen der Erdinger Kriminalpolizei vorging, hätten als Vertreter dieses selbsternannten Staates banden- und gewerbsmäßig Urkundenfälschung begangen. Bei den restlichen Zielpersonen handele es sich um Sympathisanten und Erwerber der „Urkunden“ ihres Fantasiestaates.
An mehreren Objekten aufgefundenes Dokument (Polizei Bayern)
Ziel der Gruppierung sei die „Schaffung eines ‚Deutschen Reichs‘, wobei die Existenz der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkannt wird“, heißt es in einer Meldung der Polizei, die den Reichsbürgern gestern die Existenz des echten Staates handfest demonstrierte. Der Schwerpunkt der Durchsuchungen gegen die 16 Beschuldigten im Alter von 40 bis 62 Jahren lag in Oberbayern, wo der vermeintliche Staat seine Verwaltung sieht. Laut dem Bayerischen Rundfunk (BR) wurden neben dem Einfamilienhaus in Landsham-Pliening und zwei nahen Objekten im Landkreis Ebersberg eine Adresse in Tuntenhausen im Landkreis Rosenheim durchsucht. Zudem lagen zwei Adressen in der Oberpfalz, fünf in Mittelfranken, je eine in Unterfranken und Schwaben. Zwei Objekte seien in Rheinland-Pfalz und schließlich eines in Baden-Württemberg durchsucht worden.
Erpressung, Nötigung und Amtsanmaßung
Die Beschuldigten beschäftigen, so die Polizei, bereits seit geraumer Zeit Ämter und öffentliche Stellen etwa mit Widersprüchen zu Pfändungs- oder Bußgeldbescheiden sowie Schreiben, in denen sie ihrer kruden Rechtsansicht Ausdruck verleihen und selbst Forderungen gegen die betroffenen Behörden erheben. Der Inhalt entspräche vielfach dem Tatbestand der versuchten Erpressung, versuchten Nötigung und Amtsanmaßung. Die bisherigen Erkenntnisse der Ermittler hätten zudem Anhaltspunkte für den Aufbau einer „Finanzverwaltung“ und eines „Gewerbeamtes“ ergeben. Es wurden „Staatsangehörigkeitsausweise“, „Führerscheine“, „Gewerbescheine“ und „Amtliche Lichtbildausweise“ ausgestellt und gegen Gebühr vertrieben. Im ersten Stock des Anwesens in Landsham-Pliening stellten die Einsatzkräfte zahlreiche Dokumente, Urkunden-Formulare und Speichermedien sicher. Zudem wurden mehrere tausend Euro Bargeld aufgefunden, die mutmaßlich aus Gebühren und „Steuereinnahmen“ stammen.
Spinnert…
Auf der „offiziellen Weltnetzseite des Bundesstaats Bayern“, der zum lässt sich die krude, völkische und geschichtsrevisionistische Auffassung der extrem Rechten Gruppierung im Original nachlesen:
„Wir, die indigenen deutschen Völker, sind eigenständige Menschengruppen gemäß § 6 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) und legitimieren uns aus den germanischen Völkern, die autochthonen Angehörigen der indigenen Völker des Staatenbundes Deutsches Reich, im Verfassungsstand 1871 und im Rechtsstand zwei Tage vor Ausbruch des 1. Weltkrieges (2. Deutsches Reich). Wir sind die Ureinwohner der angestammten (ab 1945 besetzten, später mit dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland verwalteten) Territorien/Gebiete und wir erklären aus Gründen VN […] keinen Verzicht auf unsere indigenen, ureinwohnerrechtlichen, humanitären Rechte und wir sind nicht dem Artikel 116 GG zuzuordnen. Die Verwaltung BRD/Deutschland befindet sich auf dem angestammten ureinwohnerrechtlichen Boden der Gebiete der souveränen Staaten des 2. Deutschen Reichs, welche […] die Gebiets- und Territorialitätshoheit für ihre Völker haben. Wir, die Volkssouveräne der indigenen deutschen Völker, erklären hiermit ausdrücklich keinen Verzicht auf unsere Bodenrechte! […] Als Reisedokument bekommen wir den Heimatschein ausgestellt. […] Wir, die Volkssouveräne der indigenen deutschen Völker, übernehmen die Funktion des persistent objector“
… aber gefährlich
Eine der aufgefundenen Waffen (Polizei Bayern)
Klingt spinnert – und ist es sicher auch. Aber ungefährlich sind die sogenannten Reichsbürger nicht. Vor einer Verharmlosung warnt etwa die Amadeu Antonio Stiftung. Viel zu lange sei das „reichsideologische Milieu“ verharmlost worden. In Oberbayern gibt es nach einem Bericht des BR mit Bezug auf Angaben aus dem Innenministerium rund 700 Reichsbürger, davon besitzen etwa 110 eine waffenrechtliche Erlaubnis. In ganz Bayern leben etwa 1.700 Reichsbürger, von denen etwa 340 Waffen besitzen. Als Beamte eines Spezialeinsazkommandos (SEK) am 19. Oktober im fränkischen Georgensgmünd das Haus eines solchen durchsuchten, um ihm seine rund 30 Lang- und Kurzwaffen zu entziehen, eröffnete der Reichsbürger das Feuer, tötete einen der Polizisten und verletzte drei weitere. Bereits Ende August soll der Gründer eines fiktiven Ministaat namens „Ur“ in Sachsen-Anhalt während der Zwangsräumung seines Grundstückes das Feuer eröffnet haben. Auf Grund dieser „aktuellen Gefährdungseinschätzung der Reichsbürgerbewegung“ musste die Polizei dann auch davon ausgehen, „dass Anhänger ihre Ideologie auch mit Nachdruck unter Gewaltanwendung verteidigen.“ Deshalb habe man Spezialeiniheiten wie das SEK hinzugezogen. „Außerdem hat die Polizei einem ‚Reichsbürger‘ seine legal besessenen Waffen abgenommen, da ihm die Waffenerlaubnis wegen Unzuverlässigkeit entzogen wurde“, erklärte der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann zu der Razzia gestern. Zusätzlich wurden bei anderen Reichsbürgern einige Schreckschusswaffen, eine zur scharfen Schusswaffe umgebaute Schreckschusswaffe, Munition sowie ein Schlagstock sichergestellt.
AfD am 1.2.17 in Niederstaufen: „Konfetti“ und leere Stühle
Vor weniger als einem Jahr lud die AfD Frauke Petry in die schwäbische Provinz – und provozierte massiven Protest. Eine Veranstaltung mit dem Berliner Abgeordneten Georg Pazderski erntete nun ebenfalls starken Gegenwind aus der dörflichen Zivilgesellschaft.
Am 1. Februar lud der AfD Kreisverband Oberallgäu Kempten Lindau den Berliner Fraktionsvorsitzenden und Beisitzer im Bundesvorstand der AfD Georg Pazderski zum Vortrag nach Niederstaufen im bayerischen Landkreis Lindau am Bodensee. Der Ex-Oberst sprach zum Thema „Sicherheit in Zeiten der Massenzuwanderung“ auf Einladung des örtlichen Kreisvorsitzenden der Partei Peter Felser. „Durch die weitgehend unkontrollierte Zuwanderung von einer Million Ausländern 2015 und Hunderttausenden in den Jahren davor sowie ab 2016“ habe sich laut Bundestags-Direktkandidat Felser die Sicherheitslage in Deutschland und Europa verschärft, so die Ankündigung der Veranstaltung. Bürger seien durch Terrorgefahr und Anschläge sowie eine angeblich „steigende Kriminalität“ beunruhigt.
„Das, was man fühlt, ist für einen Realität“
Peter Felser stellt auf eine Beunruhigung, auf ein Gefühl „der Bürger“ ab und ist damit ganz bei seinem Berliner Kollegen: „Wenn es heute um Gefahr geht, dann benutzt Pazderski gern den Spruch ‚Perception is reality‘. Er hat ihn im Wahlkampf so oft wiederholt, dass er so etwas wie sein Markenzeichen geworden ist. ‚Das, was man fühlt, ist für einen Realität‘“, erklärt er dem Tagesspiegel. Fühlten sich Bürger unsicher, sagt Pazderski, der es mit den Fakten nicht so genau nehme, dann sei es eben auch unsicher – „in ihrer ganz persönlichen Wirklichkeit.“ Zuvor wird vom Tagesspiegel beschrieben, welche Angst es ist, von der der Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus und seine Partei leben: „Wer Georg Pazderski reden hört, im Fernsehen oder anderswo, kann auf die Idee kommen, dass man sich in Berlin eigentlich nicht mehr auf die Straße trauen sollte. Auch […] erzählt Pazderski von arabischen Großfamilien, die Schutzgeld erpressen und Frauen zur Prostitution zwingen. Von zu vielen Drogentoten. Von afrikanischen Dealern.“
„Das halbe Dorf auf den Beinen“
Wohl auch auf dieses Spiel mit der Angst bezogen sich die Organisatoren des Protestes, der den 65-Jährigen bei seinem Auftritt im Gasthaus Zum Löwen in Niederstaufen erwartete. Am frühen Abend wurden in dem kleinen Dorf in der schwäbischen Provinz Video- und Kunstinstallationen aufgebaut. Mehrere Hausfassaden an der Durchgangsstraße und neben dem Gasthaus wurden per Beamer bestrahlt. An einer Stelle liefen Bilder von Grenzzäunen und Interpretationen von Rainer Maria Rilkes Gedicht „Der Panther“ neben einem Berg alter Koffer – eine Anspielung auf die Taten der Nazis. Das Gesicht des am 23. September letzten Jahres verstorben Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer mahnte mit dessen Zitat: „Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.“ Gegen 18 Uhr stellten Versammlungsteilnehmer gegenüber des Gasthofes ein über 12 Meter langes Transparent gegen „den Rechtsruck in der BRD“ auf.
„Etwas später“, schreibt die örtliche Initiative gegen Rassismus auf ihrer Homepage, „schien dann fast das halbe Dorf auf den Beinen zu sein.“ Gegenüber des Gasthof Zum Löwen hätten sich immer mehr Menschen gesammelt, um ihre Ablehnung gegen die „rassistische Hetze“ der AfD zum Ausdruck zu bringen. Ein benachbarter Steinmetzbetrieb verteilte Tee und Suppe an den Protest. „Damit den Leuten nicht so kalt ist“, sagt Elke Bader, die den Betrieb führt. Vielleicht hätte die AfD das Gefühl, „dass die in so ein kleines Dorf gehen, weil da weniger Gegenwind käme. So ein kleines Dorf kann sich aber auch dagegen stellen.“ Einfach, weil es „ganz wichtig“ sei, „dass wir da ein Zeichen setzen.“
Bald nachdem die Besucher des Vortrages der AfD ab 18:30 den Gasthof betreten konnten, war der Veranstaltungssaal mit etwa 150 Personen derart voll, dass einige Gäste keine Sitzplätze mehr finden konnten und stehen mussten. Peter Felser begrüßte seine Zuhörer und stellte fest, dass sich darunter auch AfD-Gegner einer – wie er später schrieb – „linksgrünen Merkeljugend“ befanden. Wie sich herausstellte, war nur rund ein Drittel der Gäste tatsächlich aus Sympathie zur AfD gekommen. „Immer wieder waren Ablehungsbekundungen und aufbrausender Applaus für kritische Kommentare aus dem Saal zu hören“, beschreibt die Initiative gegen Rassismus das Geschehen im Saal. In einem Bericht von schwaebische.de heißt es, bei der abschließenden Fragerunde habe sich der Referent Pazderski nicht aus dem Konzept bringen lassen. „Ein einheitliches Europa ohne Grenzen tat er als ‚Utopie‘ ab, Europa ist für ihn vor allem eine Wirtschaftsgemeinschaft. Flüchtlinge sollen vor den Grenzen bleiben, gemäß der europäischen Verträge in den sicheren Drittstaaten, also in Griechenland und Italien, wo sie europäischen Boden betreten.“
Viele der AfD-Gegner verließen vorzeitig den Löwen, um sich dem Protest davor anzuschließen, der bis zum Ende des Vortrags auf bis zu 200 Personen anwuchs. Als die AfD im Juni zuletzt mit Frauke Petry und Petr Bystron Parteigrößen in die Region ins Nahe Lindenberg holte, demonstrierten dagegen etwa 700 Personen. Darauf spielte die Initiative gegen Rassismus in ihrem Resümee der Proteste in Niederstaufen an: „Wir hoffen, das die lokale Ortsgruppe der AfD nun endlich verstanden hat, dass sie mit ihren rassistischen Ansichten und Forderungen im Landkreis Lindau mit weit mehr Gegenwind als Zuspruch zu rechnen hat. Gleichzeitig freuen wir uns, dass ihr Veranstaltungsversuch in Niederstaufen so viele Leute für ein weltoffenes Allgäu und gegen Rassismus zusammengebracht hat. Die Kraft und das Engagement, das dort zu spüren war, wird wohl auch mit Blick auf die Bundestagswahl und den Rechtsruck bei anderen Parteien weiterhin dringend benötigt werden.“
Der identitäre Stammtisch, bevor die Mitglieder fluchtartig das Lokal verließen
Interne Dokumente der Identitären Bewegung zeigen, wie straff die rechtsextreme Gruppe organisiert ist. Auf mehr als 50 Seiten wird vom Facebook-Posting bis zur Wortergreifungsstrategie bei Veranstaltungen alles erklärt, was die Öffentlichkeistarbeit der Identitären ausmacht. Sogar die Fahrtkostenabrechnung über den rechten Verein Ein Prozent wird den Mitgliedern erklärt. Flugblätter müssen eigens bei einer „nationalen Leitung“ abgesegnet werden.
Am 17. Februar trafen sich Mitglieder der Identitären Bewegung Allgäu im schwäbischen Memmingen, ohne ihren „Stammtisch“ öffentlich anzukündigen. Doch offenbar erfuhren auch Gegner der rechtsextremen Gruppe davon – und tauchten nach einem auf Indymedia veröffentlichten Bericht vor dem Veranstaltungsort auf. Man habe „die Heimatkämpfer in die Flucht“ geschlagen, indem man von außen an die Scheibe des Lokals klopfte und Photos der „sechs Rechten“ schoss. Die Identitären hinterließen bei der Flucht über den Hinterausgang anschließend die internen Dokumente, die auf der Plattform veröffentlicht wurden.
Steif und autoritär gelenkt
In den Schriftstücken ist nachzulesen, dass die Identitäre Bewegung Schwaben bis zum 11. März 2017 die „aktivste patriotische Gruppe in Schwaben“ werden und neue Ortsgruppen aufbauen will. Eine Vernetzung wolle man mit der AfD, ihrer Jugendorganisation Junge Alternative, Burschenschaften und anderen patriotischen Gruppen erreichen. Der Allgäuer Ableger wird sich nun nicht nur für den Verlust von allgemeinen Materialien bei der Identitären Bewegung Deutschland verantworten müssen. Unter den Schriftstücken finden sich auch Interna einer „Ortsgruppe Unterbaldingen“.
Das Material gibt vor allem auch Einblick, wie die Gruppe, die gerne als Netzwerk autonom voneinander agierender kreativer Kleingruppen wahrgenommen werden will, wirklich organisiert ist: Eben doch, wie von stramm rechten Gruppen zu erwarten, steif und autoritär von oben gelenkt.
Wachposten mit Walkie-Talkies
Unter den zurückgelassenen und nun veröffentlichten Dokumenten befindet sich ein offenbar selbst gezeichneter Lageplan der Allgäuer Identitären. „Schon um ein läppisches Plakat zu kleben“, machen sich ihre Gegner online lustig, „zeichnet der Spartaner von heute einen exakten Lageplan und stellt Wachposten mit Walkie-Talkies auf.“
Nach einem am 9. Februar auf der Facebook-Seite Identitäre Bewegung Schwaben veröffentlichten Foto hat es im Memminger Fuggergarten am Schweizerberg tatsächlich eine Aktion gegeben. Das Reiterstandbild Welf VI. wurde mit dem Spruch „Welf ritt für uns! Was reitet Merkel?“ und dem Lambda-Zeichen der Identitären behangen. Dazu heißt es: „Einst gab es sie noch in deutschen Landen, die Verfechter des Eigenen“ wie Herzog Welf VI. Weiter wird behauptet, „Heimat und Eigen wurden ihm im Kampfe entrissen und an die Fremdherrschaft verschenkt, womit sein großer Widerstand für Schwaben begann. Erschöpft vom 2. Kreuzzug kehrte er heim um auf dem Felde wie in der Politik weiter für die Rückeroberung seiner Heimtat zu kämpfen.“ Der 2. Kreuzzug war also ein Befreiunggschlag zur Beendigung der „Fremdherrschaft“ in „Heimat und Eigen“ der Kreuzfahrerstaaten in Palästina und Syrien? Oder wurden die Kreuzzüge nur eingeschoben, um Herzog Welf’s Einsatz im Kriege zu honorieren? Aber egal. Reconquista, Baby! Später habe er dann „durch seinen erbitterten Widerstand […] seine Besitztümer und seine Heimat Memmingen“ zurückerlangt. Heutige Politiker brächten mit „Multikulti“ „Unheil über ganz Europa“. Die Identitären dagegen träumen mit „Herzog Welf VI, Prinz Eugen oder Karl Martell, die sich für das Eigene einsetzten und ihre Heimat verteidigten“ vom Krieg, wie sie weiter auf ihrer Facebook-Seite schreiben: „Herzog Welf – Do it again!“
Militärische Logik und Verschwörungsideologien
Militärische Logik und der Wunsch sich einer (vermeintlich besseren) Obrigkeit zu unterwerfen lässt sich auch an anderen Stellen aus den Dokumenten lesen. Wollen Identitäre etwa Flugblätter verteilen, die auf einen speziellen Anlass zugeschnitten sind, müssen diese einer nicht näher benannten „national Leitung“ vorgelegt werden. Auch für das Design gibt es genaue Anweisungen. „Sogar das Verteilen von Flugblättern“, schreiben die Gegner der Identitären mit Bezug auf eines der Dokumente aus einer Identitären Sommmerakademie 2015, „muss genauestens von oben geplant werden. Es braucht einen Leiter, der mindestens drei Verteilern erklärt, was sie zu tun haben. Dazu braucht es – selbstverständlich alle männlich – Beobachter und Sicherheit. Der Beobachter soll sich auf Distanz halten und die Gruppe beobachten. Wenn er etwas komisch findet, soll er den Leiter benachrichtigen, der entscheidet, was weiter passiert.“
Permanent wähnen sich die Identitären vom „Feind“ umgeben und steigern sich in Verschwörungsideologien. In einem der veröffentlichten Texte zum „Umgang mit Polizei und Geheimdiensten“ heißt es: „Da die gesetzgebende Gewalt in der BRD unkontrolliert ist, gelang es kleinen Gruppen von Stalinisten diese Gewalt zu unterwandern. […] Weil der Feind die nationalistische Oppostion mit allen drei zusammengefaßten Gewalten verfolgt, muss bei jeder Gelegenheit von den Oppositionsgruppen abgewogen werden, ob von unserer Seite aus Mßanahmen eingeleitet werden sollen, die geeignet sind das Regime zu destabilisieren.“
Nach einem Leitfaden, der ebenfalls nach dem Stammtisch in Memmingen geleaked wurde, dreht sich auch die identitäre „Debattenkultur“ um Sieg oder Niederlage. Die neu-rechten Aktivisten sollen „mit Fragen führen“: „Beherrsche, das Gespräch“, heißt es im Leitfaden. Der Debattengegner sei an die „Marketing-Technik“ der „Bejahungkette“ zu legen, statt zu argumentieren, sollen Prämissen gefestigt werden.
Identitäre Erleuchtung
Die Identitären sehen sich aber nach dem nun öffentlichen Material nicht nur als Heimatkämpfer in einer vermeintlichen Tradition mit ihrem Herzog Welf. Die „Bewegung“ imaginiert sich als Speerspitze eines „Mainstream“, der ihr Weltbild bereits teilt. Die identitäre Elite wähnt sich als Vollstrecker eines Volkswillens, einer „schweigenden Mehrheit“. Um dem Volk die identitäre Erläuchtung zu bringen, müsse man aber noch diese „Leute an die Hand nehmen, dorthin ‚runtergehen‘, wo sie gerade stehen, und sie die Treppe ‚aufwärts‘ begleiten zum identitären Verständnis.“
Mit Aktionen will die „metapolitische Kraft“ ihre Ideen, Parolen und Bilder zum viralen medialen Hype aufblasen. Auch hier wird mächtig aufgetrumpft. „Wir kennen alle die ikonischen Bilder, die um die Welt […]. Das Ziel einer jeden Aktion ist, das Bild zu erschaffen, das für eine klare Idee steht.“ Vorgegeben wird eine Auswahl von vier Wunschbildern: Macht, Trotz, Zuneigung und Spott. Im ersten Fall soll eine „Demonstration oder Besetzung […] Macht, Kraft und Sieg symbolisieren.“ Man wolle keine Aktivisten zeigen, die „von Angst und Zweifel geplagt sind.“ Stattdessen: „Massen und Fahnen“. Trotz wolle man zweitens ausstrahlen bei Besetzungen oder zivilem Ungehorsam. Mit wenigen Aktivisten, „die sich mutig einer Masse an Feinden widerstezen“ wolle man „Opferbereitschaft und die Stärke des Geistes zeigen.“ Um der „Dämonisierung“ ihrer Bewegung vorzubeugen gelte es als Option Nummer drei Sympathie zu schaffen. Dazu sollen Ökoaktivismus und „junge Menschen (Frauen)“ instrumentalisiert werden. Viertens heißt es zum Spott: „Wenn wir […] eine kreative Flashmod-Aktion abziehen […] brauchen wir ein Bild, das die Reaktion der Verarschten verewigt: Entsetzen, Demütigung und Wut.“
Wenn das das „ikonische“ Wunschbild der Lachnummer #ibsterblockade war, dann ist der Plan voll aufgegangen.
Ausschnitt aus der Broschüre „Wir sind wieder da“ der Amadeu Antonio Stifung
Teile des Gemeinderats in Bolsterlang einschließlich der Bürgermeisterin sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, der Reichsbürgerbewegung nahe zu stehen. Die Dorfgemeinschaft rebelliert und will „die einfach nicht mehr anerkennen, die dieses Gedankengut verbreiten“.
„Ich habe jetzt ein Jahr lang gewartet“, empört sich eine Bolsterlanger Bürgerin auf einer Kundgebung am 2. März 2017, „dass die Gemeinderäte, die nicht in diesem Mob dazugehören, dass die auf die Straße gehen und eine Bürgerversammlung halten und sagen: Freunde bei uns im Dorf passiert was ganz schreckliches, es ist eine Schande fürs Allgäu und ein Schaden für Bolsterlang.“ Die Kundgebung im Landkreis Oberallgäu vor der Sitzung des Bolsterlanger Gemeinderates ist möglicherweise die erste Demonstration gegen Reichsbürger.
Die rund 70 Versammlungsteilnehmer sind aufgebracht, weil ein Teil des Gemeinderates – einschließlich der Bürgermeisterin – sogenannte Gelbe Scheine beantragt hatte, die zum Nachweis der Staatsangehörigkeit dienen aber praktisch kaum Anwendung finden. Bei Reichsbürgern allerdings sind die Staatsangehörigkeitsnachweise beliebt, sie gelten bei Sicherheitsbehörden als Hinweis auf das Vorliegen einer entsprechenden Ideologie.
Im März 2016 fand in Bolsterlang – ausgerechnet in dem Saal in dem auch der Gemeinderat tagt – ein Tagesseminar eines Reichsbürgers aus Baden-Würtemmberg statt. Nach Informationen der Allgäuer Zeitung handelt es sich bei dem Referenten um Markus Hailer. Auf seiner Homepage bezeichnet er sich als „freier beseelter Mensch aus Fleisch und Blut, selbst denkend und verwaltend und nicht verschollen“.
Die Bürgermeisterin Monika Zeller besuchte die Veranstaltung. Gegenüber der Allgäuer Zeitung distanzierte sie sich inzwischen „ganz extrem von Reichsbürgern“. Sie „lehne die Bundesrepublik natürlich nicht ab. Ich habe einen Eid geschworen.“ Den Antrag habe sie aus „Neugier und Interesse“ gestellt. „Ich wollte sehen“, sagt die 56-jährige, „wie der Schein aussieht und was da drauf steht.“ Dem Bayerischen Rundfunk sagte Zeller, sie habe den Schein bereits mehrere Wochen vor dem Besuch des Reichsbürger-Seminars beantragt. Man sei davon ausgegangen, es gehe um das Thema Regionalwährung. Die Vorwürfe gegen sie bezeichnete sie als Teil einer „üblen Hetzjagd“.
Weil bis heute nicht einmal bekannt ist, wer für die Veranstaltung Anfang 2016 verantwortlich war, beschäftigt sich jetzt Florian Ritter, Sprecher der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag für die Bekämpfung des Rechtsextremismus, mit dem Fall. Ritter fordert von der Staatsregierung Aufklärung über Reichsbürger-Umtriebe in Bolsterlang. „Ich will vor allem von der Staatsregierung wissen, wer neben dem Referenten möglicherweise noch in die Organisation des Tagesseminars eingebunden war und warum Warnungen nicht nachgegangen wurde“, begründet Ritter den Schritt, das Thema mit einer Anfrage in den Landtag einzubringen.
Ritter geht es auch um Prävention. „Um zu wissen, wo sonst im Freistaat noch Handlungsbedarf besteht, soll uns die Staatsregierung aufschlüsseln, wo es weitere Schwerpunkte von Anträgen für den rechtlich fast komplett irrelevant gewordenen ‚Gelben Schein‘ in Bayern gab“, fordert der Abgeordnete. Nicht nur die Gemeinderatsmitglieder in Bolsterlang beantragten den Gelben Schein. Für das Jahr der Veranstaltung meldet das Landratsamt Oberallgäu und die Stadt Kempten über 120 solcher Anträge im letzten und in diesem Jahr bereits über 20. Florian Ritter wirft der Staatsregierung vor, die Reichsbürgerbewegung zu unterschätzen.
Die Bürger Bolsterlangs tun das offenbar nicht. Wenn jemand „das deutsche Reich ausrufen will“, sagte eine Rednerin auf der Demonstration, „dann müssen wir uns dagegen wehren“. Notfalls wolle man jede Woche vor der Ratssitzung protestieren: „Wir haben schon Forderungen, aber wir geben ihnen heute die Chance, sich zu outen, dass wir die einfach nicht mehr anerkennen, die dieses Gedankengut verbreiten“. Auf einem Schild heißt es: „Wir fordern Intelligenz im Rathaus“.
„Allgida“ ist bereits nach einer Aktion gescheitert, „Allgida Kempten“ hat es dagegen nichteinmal so weit geschafft. Hat der Verfassungsschutz gar nicht gemerkt, dass es zwei Pegida-Ableger im Allgäu gab?
Der Allgäuer Pegida-Ableger „Allgida verschwindet in der Versenkung“. Das berichtet die Augsburger Allgemeine Ende Februar online. Die extrem rechte Gruppierung sei vor über einem Jahr mit einer Demonstration in Obergünzburg im Ostallgäu in die Schlagzeilen geraten. Damals gelang es den Rechten, 150 Personen unangemeldet in die Martkgemeinde zu mobilisieren. Zwei Teilnehmer hätten sich inzwischen vor Gericht verantworten müssen. Einer davon wurde freigesprochen, der andere ist laut Gericht mit einem Stock bewaffnet zum Aufmarsch erschienen. Er wurde verurteilt und hat dagegen Berufung eingelegt. Zum Teil waren die Teilnehmer vermummt und zeigten den Hitlergruß. In den folgenden Wochen habe die die „Protestgruppe“ immer wieder Demonstrationen angekündigt, „die jedoch nicht stattfanden.“
Seit Mai 2016 beobachte der Verfassungsschutz die Gruppe, heißt es weiter bei der Augsburger Allgemeinen. „Seit über einem halben Jahr ist Allgida nicht mehr aktiv geworden“, sagte der Sprecher des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz Markus Schäfert der Zeitung. Das Amt sehe in der „schillernden Persönlichkeit“ Michael Kleemann die „zentrale Figur“ des Zusammenhangs. Kleemann habe sich aber zurück gezogen. Laut Augsburger Allgemeinen zeige die Beobachtung durch den Verfassungsschutz Wirkung.
Alles das Selbe?
Die Augsburger Allgemeine schreibt von „Allgida“ und „Allgida Kempten“, ohne die Begriffe zu differenzieren. Auch das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz tut das offenbar nicht. Dessen Sprecher Markus Schäfert bestätigte dem Störungsmelder telefonisch. man beobachte den Zusammenhang um Michael Kleemann, also „Allgida Kempten“.
Auf die Frage, ob Erkenntnisse vorlägen, nach denen es sich bei „Allgida“ und „Allgida Kempten“ um die selbe Gruppe handele, wurde das Gespräch abgebrochen und um schriftliche Klärung gebeten, woran die Existenz zweier Gruppen festzumachen sei. Tatsächlich handelt es sich um zwei unterschiedliche Gruppen. Zwar sind beide derzeit inaktiv. Sie wurden aber aus unterschiedlichen Zusammenhängen bedient.
Nach einiger Wartezeit antwortete Schäfert: „Im Rahmen der Beobachtung von Allgida Kempten schauen wir uns selbstverständlich auch das Umfeld an, soweit dort extremistische Bestrebungen erkennbar sind – unabhängig davon, ob hinter „Allgida“ die Ortsmarke Kempten steht oder nicht.“ Generell beobachte das Amt auch Einzelpersonen, „die extremistische Bestrebungen verfolgen, unabhängig davon, in welchen Gruppenzusammenhängen sie auftreten.“
Vor neun Jahren erstach ein Neonazi Peter Siebert mit einem Bajonett in Memmingen. Unter dem Motto „Remembering means fighting – Gegen Nazis und ihre Umtriebe“ erinnerten etwa 220 Menschen daran und forderten ein konsequentes Vorgehen gegen die Strukturen der Rechten in der Region.
Memmingen im Allgäu und die ganze Region habe ein Neonaziproblem, dem dringend begegnet werden müsse, „weshalb wir heute hier in Memmingen auf der Straße sind.“ Das erklärte ein Sprecher der Veranstalter vor den etwa 220 Menschen, die unter dem Motto „Remembering means fighting – Gegen Nazis und ihre Umtriebe“ am 22. April durch die Innenstadt zogen. Zur Demonstration hatte ein linkes antifaschistisches Bündnis aufgerufen.
Als bedeutender Teil des örtlichen Neonaziproblems sehe man die dort ansässige Neonazikameradschaft Voice of Anger, die dem Landesverfassungsschutzbericht nach die größte Naziskinhead-Gruppierung Bayerns sei. Anfang letzten Jahres gelang der Gruppe der Kauf einer Immobilie. Der Eigentümerwechsel ist formal zwar nicht vollzogen, da die Stadt ihre laut Grundbuch notwendige Einwilligung zunächst erteilte, dann aber wieder zurücknahm. Dagegen gehen die Neonazis mittels einer Rechtbeschwerde vor, über die aktuell der Bundesgerichtshof in Karlsruhe entscheiden muss. Dennoch nutzen die Neonazis die ehemalige „Gartenschänke“ einer Kleingartenanalge bei Memmingen bereits als Treffpunkt und zur Vernetzung im einschlägigen Blood&Honour-Milieu. Das könnte auch so bleiben, da der Standpunkt der Stadt, die Einwilligung könne auch nachträglich wieder zurückgezogen werden, auch behördenintern als „wackelig“ gilt.
Interessant sei, so der Redner weiter, auch die Vernetzung von Voice of Anger und der schwäbischen NPD. Diese zeige sich an wechselseitiger Teilnahme an Veranstaltungen der extrem rechten Gruppierungen. So etwa im Januar diesen Jahres. Nach der Veranstaltung wurde ein Journalist von den Neonazis bedroht und zu seinem Auto verfolgt. Einige Wochen später gab es einen Anschlag auf das Auto.
Die völkische Identitäre Bewegung (IB) versuche auch, so die Demo-Veranstalter weiter, in Schwaben eine große Ortsgruppe aufzubauen. Das gehe aus Dokumenten hervor, die bei einem Stammtisch der Identitären in Memmingen entwendet und im Internet veröffentlicht wurden. „Wie gefährlich die Gesinnung von Menschen der IB sein kann“, zeige das Beispiel des Volker Z. Dieser sei in Pleß in der Region aufgewachsen, lebe mittlerweile in Lübeck, sei Anhänger der IB und habe vergangenen Februar auf einen Antifaschisten eingestochen und diesen schwer verletzt.
Zuletzt wies das Bündnis unter Verweis auf den am gleichen Tag stattfindenen Bundesparteitag der AfD auf die beiden in der Region aktiven Kreisverbände der Partei hin. Der Vorsitzende der Unterallgäuer AfD Christoph Maier scheiterte 2016 in Memmingen als Kandidat zur Bürgermeisterwahl und stehe „für eine Ausgrenzungs- und Abschottungspolitik“. Der Beisitzer in Maiers Kreisverband gehöre der extrem rechten und islamfeindlichen German Defence League an. Der Oberallgäuer Kreisverband darf seinen Vorsitzenden Peter Felser auf Listenplatz 7 zur Bundestagswahl antreten lassen. Mit der Kampagne „Keine Stimme für Rassismus und Rechtspopulismus“ möchte ein Zusammenschluss von nach eigenen Angaben mehr als 10 Gruppen in der Region gegen rechte Hetze im Zusammenhang mit den Bundestagswahlen 2017 vorgehen. Ein Sprecher der Kampagne beklagte in Memmingen, dass „der Rechtspopulismus in der BRD gerade auch durch die zunehmende gesetzliche Umsetzung rassistischer Forderungen einen weiteren Aufschwung“ erlebe. Die AfD stelle „eine treibende Kraft bei diesem Rechtsruck in Politik und Gesellschaft dar“, sei aber nicht der einzige Akteur, der „offenen Rassismus und Nationalismus in Deutschland in den vergangenen Jahren wieder salonfähig gemacht“ habe. Man werde „nicht tatenlos zusehen wenn Menschen nur aufgrund eines Vermerks in ihrem Pass oder ihrer Hautfarbe oder Abstammung angegriffen werden. Egal ob diese Angriffe mit direkter Gewalt, durch Hetze und Diskriminierung oder in Form von rassistischer Gesetzgebung erfolgen.“ Deshalb wolle man „darum kämpfen, weitere Wahlerfolge der AfD zu verhindern und auch den anderen Parteien deutlich machen, dass sich mit Rassismus und Rechtspopulismus keine Mehrheiten in der BRD gewinnen lassen.“
In Erinnerung an den am 26. April 2008 von einem Neonazi in Memmingen ermordeten Peter Siebert legten die Versammlungsteilnehmer Blumen an einem Brunnen in der Innenstadt nieder. Ein Redner erklärte, dass dieses traurige Ereignis Antifaschisten vor einigen Jahren dazu veranlasste, die jährliche Gedenkdemonstration zu veranstalten. Der Mord an Peter Siebert sei kein Einzelfall, sondern Reihe sich ein in eine Serie von 179 Todesopfern rechter Gewalt seit 1990 in Deutschland. Darauf müsse man aufmerksam machen und sich mit den Opfern rechter Gewalt solidarisieren.